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D.Administrator 11.07.2002

Interview Enculturation
Thomas Rickert (Univertity of Texas at Arlington) interviewt Mario Menzerolf zum Projekt Verweis auf... Punapau / Short Cuts

Verweis auf... Enculturation, Vol. 2, No. 2, Spring 1999

(Erste Gesprächsrunde)

1. In welchem Sinne ist Ihre Arbeit "Musik"? Sicherlich ist Ihnen die Frage schon begegnet, ob das, was Sie machen, tatsächlich noch Musik ist. Wie stehen Sie zu dieser Fragestellung?

Erstaunlich, wie tief wir eintauchen, nachdem wir uns 20 kleine Löcher in der Stille angehört haben. Skizzen, nur Skizzen. Keine musikalische Ausarbeitung; ich muss das betonen. "Short Cuts" ist eine Sammlung von unbearbeiteten Klangbildern. Aber wenn man mit dem Computer auf Stücke aus konkretem musikalischem Material zugreift, so heisst das keineswegs die musikalische Komposition negieren. Das hätte ich gerne schon vor 10 Jahren gewusst. Die künstlerische Intention folgt nach wie vor ästhetischen Gesetzen. Die wohlbekannte Falle der Kapitulation angesichts der indifferenten Machtkonstruktion der Maschine bewirkt einen neuen Schritt künstlerischer Entwicklung. Als Sohn eines Schauspielers fesselt mich besonders das dramaturgische Verhalten von Klangserien. Was für ein Spiel, das man auf der Maschine spielen kann...diese Tonfolgen sind mögliche Kompositionen für mein digitales Orchester.

2. Was hat Sie zu dieser Art von Verständnis Ihrer künstlerischen Arbeit geführt? Welche Genres/Künstler haben Sie beeinflusst und welche Bedeutung haben sie für Ihre Arbeitsweise des Sammelns von Klängen?

Im Februar `99 brachte mich jemand auf ein freies Programm zur Wavebearbeitung ("ddclip", geniale Programmierung!!!). "Such dir einfach irgendein gespeichertes Wellenmaterial raus", sagte er so wie man jemanden zum Spielen einläd. Ich probierte erst 15 Minuten lang herum und war dann 4 Stunden lang schon mitten in der Arbeit an "Big Band Style". Diese Spielerei wurde immer ernsthafter, bis ich das ganze dann tatsächlich als neue "kreative Arbeitsweise" für musikalische Skizzen begriff. 2 Tage später entstand "ICQsong" als zweite Arbeit.
Ich verbrachte meine Zwanzigerjahre als ambitionierter Jazz-Gitarrist und pendelte zwischen Hardbop und Freestyle. Bis heute überträgt jede Art von Geräusch musikalische Bedeutung in meine Ohren. Ich bin ständig auf der Suche nach Jazz jenseits des Jazz,-...-. Musikalische Einflüsse: Debussy, Strawinsky, M. Davis ("ESP"), und fast alles zwischen Blue Note Records und dem Art Ensemble of Chicago, solange die Zeit der experimentellen Erkundungen ging, J. McLaughlin (Extrapolation), Pink Floyd, Soft Machine, J. Hendrix, und die siebziger Jahre insgesamt... keine Computerkünstler dabei, tut mir leid. Jazz und Klangphantasien haben schon immer meine geistige Vorstellungskraft angeregt. Als praktisch arbeitender Musiker habe ich in der Regel jede Form von Wiederholungen gehasst. Als kalkulierender Cutter begann ich die Welt der Loops zu betreten. Es gibt keinen wirklich persönlichen Einfluss irgendeines Musikers auf meine Arbeit mit Computer-Kollagen. Es sind einfach 20 Jahre Erfahrung mit Film-, Theater- und Musiker-Arbeit, Lesen/Schreiben (auf Deutsch!), Multimedia usw. - alles zusammen stösst mich manchmal in den Bereich, den ich neue "kreative Arbeitsweise" nenne.

3. Wie sehen Sie die Beziehung(en) zwischen Technologie und Musik? Wie nehmen Sie die Bewegung von funktionaler Technologie zur Ästhetik wahr, gerade vor dem Hintergrund, dass viele der von Ihnen benutzten Sounds in Stücken wie "ICQsong" und "Microsoft NT" mit zumeist praktischen Funktionen verbunden sind?

Es gäbe keinen Hendrix ohne elektrische Gitarre und Sushi wohl kaum ohne Kühlschrank. Es ist die Aufgabe des Künstlers, die Beziehung zwischen Technologie und Ästhetik ständig neu zu definieren, wieder und wieder. Die Suche nach Lösungen führt oft zu irgendeiner Art von Technologie oder zumindest Know-How-die Suche nach dem inneren Motiv berührt notwendigerweise die Ästhetik. Um Tautologien zu entgehen, würde ich sagen: beide Phänomene folgen einander, erscheinen aber selten gleichzeitig. Das erinnert mich irgendwie an das Heisenbergsche Modell.

4. Wenn Klänge, die kennzeichnend zu einzelnen Applikationen gehören (z.B. die ICQ-Applikation oder die Windows 95-Plattform), dazu beitragen, einen übergeordneten Eindruck zu schaffen, welcher Art sind dann Ihre Eindrücke als Musiker von diesen Applikationen? Gibt es Sounds in einzelnen Applikationen, die Sie besonders mögen und warum?

Wir leben nach wie vor in einer optischen Kultur - wir lösen unsere Probleme über visuelle Kontrolle. Grösstenteils verneinen Computer diese sekundäre und nachgeordnete Rolle des Hörsinnes nicht, nutzen ihn aber konsequent. Sound-Designer für eine zunehmende Zahl von multimedialen Computer-Schnittstellen haben eben erst begonnen, ihr zukünftiges Terrain abzustecken. : ("als bedrohlich wahrgenommene Beeps"). Ausserdem führt die Entwicklung von Real Audio und des neuen mp3-Formates dazu, dass Musik ihren perfekten Eingang findet in die Welt der Parameter von Datenübertragung im Internet. Jetzt gibt es auch für die musikalische Wahrnehmung Übertragungsräder. In harten Zeiten verdiene ich meinen Lebensunterhalt mit Computer-Graphiken, 3-D-Design usw.. Aber mein innerer Drang schafft Klänge, orientiert sich an Audio-Rezeption. Was ich herausgefunden habe, ist: wenn man sich die akustische Welt der zusätzlichen Audio-Dateien in einem Computerprogramm anschaut, bekommt man ein Gefühl für eine Art gesonderter Sinnebene des Programms selbst. Die beiden ICQ-Töne geben ein gutes Beispiel ab (übrigens liebe ich ICQ sehr und meine unsichtbaren ICQ-Freunde!). Fast alle Töne sind an Programmschritte gebunden, und die meisten Nutzer von ICQ sind intuitiv an diese Signale gewöhnt, die eine leichte und mühelose "Veränder-die-Welt-mit-einem-Mausklick"-Illusion repräsentieren. Wir alle liebten das Uh-Oh für eingehende Kontakte in der ICQ 89-Version. Ich versuchte mir die Synchronizität aller ICQ-Signale vorzustellen, die zur selben Zeit überall auf der Welt stattfinden. Man stelle sich z.B. all die Millionen von Hupen vor, die das Programm beim Öffnen antuten, wie eine Symphonie. Die weibliche Stimme war eine klare Einladung zu einem Chor-Arrangement, und der Chor der 99beta-Version erwies sich sogar als noch musikalischer. Die Musik einer dänischen Autoren-Software für Kids und Teenies verwandelte sich in eine Parodie auf Rap-Musik ("Aesygroove"). Eine geschmackvolle Klangauswahl selbst für ein 100-Mark-Programm ist wirklich typisch für dänische Arbeiten. Es hat mir einigen Spass gemacht, den Real-Time-Beat zu brechen, so wie ein Drummer nach einer wackeligen Gesangsphrase wiedereinsteigt. "Microsoft NT" ist ein ironischer Kommentar zu der von Microsoft an den User verkauften Illusion reinen Komforts - eben mit einer hängenden Support-Line. Immerhin, die Systemklänge sind grossartig, was für ein Film! "Robot" illustriert, wie amerikanische Pädagogen Befehle geben. Dies ist der Ton, mit dem man das Office-Paket benutzen lernt! Das musikalische Ambiente macht es nur noch absurder, und im Hintergrund betet jemand. "Simcity" (als perfekter Loop) erinnert mich an ein Pink Floyd-Stück auf "umma gumma" - ebenfalls strengstens absurd! Andere Stücke erkunden rein musikalische Themen in ähnlicher Weise. "Something" bleibt als Frage "Was ist das? Ist da irgendwas?". "Thrill" basiert auf den ausgezählten Einzelbildern einer Filmsequenz, die ich `85 gemacht habe; eindeutig synthetische Musik. "Big Band Style" sucht nach einem zeitgemässen Ansatz zwischen Easy-listening und Drive. "Session3and4" erforscht die Idee einer Fusion musikalischer Welten, ebenso wie "crack44" - 44 ist mein Alter, eine gebrochene Fassung meines musikalischen Interessenkatalogs (mein Lieblings-Loop-endlose Atemenergie lädt einen auf). "Misc" mischt klassischen Sound mit purem Weltraum-Gefühl; das lieben wir doch alle, oder?"NYC" ist eine Idee für ein Hörspiel.

5. Was bedeutet "Punapau"? Warum haben Sie diesen Begriff zur Kennzeichnung Ihrer Musik gewählt?

Punapau ist ein kleines Gebiet auf den Osterinseln, wo ich `81/`82 6 Monate verbrachte. Zwei kleine Hügel mit 5 Bäumen. Ein einzelnes Haus und meistens sehr windig. Der Blick geht nach Westen auf 3.500 km nichts als Meer (ausgenommen Pitcairn Island). Das ist es, was ich mitnahm nach Europa: einen auf weite Distanzen gerichteten Blick darauf, wie Imagination meine Wahrnehmung verändert.

6. In Ihrer ersten Antwort an uns erwähnten Sie Bataille und Deleuze. Lesen Sie Theoretiker, wenn ja, welche und warum? Beeinflussen/beschreiben diese und/oder andere Theoretiker Dinge, die Sie in Ihrer Musik machen?

Ich habe mir den Inhalt Ihrer Webseite angesehen. Der französische Strukturalismus war in den siebziger und achtziger Jahren ein Ausweg aus den deutschen Definitionssystemen (was wird wie erklärt, was muss gesellschaftlich verändert werden). Irgendwo zwischen Barthes und Foucault traf ich notwendigerweise Bataille und Deleuze. Abgesehen von einem gewissen Erstaunen meinerseits darüber, welche europäischen Ideen für die amerikanische Literatur von Bedeutung sind (schönes Vorurteil), hat mich das auch an bessere Tage in philosophischen Diskussionen erinnert. Ich muss zugeben, dass ich mir über den Einfluss dieser 20 Jahre zurückliegenden Studien auf meine heutige künstlerische Arbeit nicht im klaren bin. Sie haben mich da etwas auf dem falschen Fuss erwischt... ein guter Anstoss für mich, darüber nachzudenken.

(Zweite Gesprächsrunde)

7. Ich lese mit grossem Interesse Ihre recht idyllische Beschreibung von Punapau. Die Ironie dabei ist natürlich, dass es so weit entfernt von der Technologie ist, die Ihre Musik speist. Das passt zu der Lücke zwischen dem, was unter normativen Aspekten "Musik" genannt wird , und den funktionalen Klängen, die Sie verwenden. Können Sie Ihre Gedanken zu diesen Brüchen, die Ihre Arbeit überspannt, näher erläutern?

Der erste Irrtum (404?) betrifft das, was ich mit einem auf weite Distanzen gerichteten Blick meine. Ein weiter Blick von Punapau auf den Osterinseln nach Westen eröffnet einfach die Vorstellung von 3.500 km Meeresfläche, und das verändert die Wahrnehmung dessen, wo und vielleicht wer man ist. Es geht nicht um die Entfernung innerhalb eines dualistischen Denksystems, sondern um die Erkundung des Raumes. Die Vorstellungskraft wird zum Vehikel für die Erfahrung des Unbegreiflichen. Punapau ist nicht nur mein Pseudonym, sondern inzwischen auch das bedeutsame Motto von PSCN (Punapau Studios Creative Network / etwa 15 Musiker in Hamburg)-ein gemeinsames Internet-Musik-Label als regionaler Zugang zu mp3.com. Ich hoffe, dass dieser Name immer brilliante Momente in all unseren musikalischen Projekten hervorbringt. Keine Wahrnehmung ohne vitale Imagination. Keine Lücke zwischen "Musik" und dem, was als musikalisches Zeichen benutzt werden kann. Sprechen wir also von "Earcon Design" mit multimedialen Computer-Applikationen als eine Erweiterung musikalischer Formgebung: Als die Musik im vergangenen Jahrhundert mit der Filmindustrie konfrontiert wurde, eröffnete die Filmmusik mehr musikalische Freiheit, als es die reine Hör-Rezeption getan hätte. (Miles Davis war in "Escalator to Death" substanziell anders als live auf der Bühne./ Free Jazz hatte als Begleitmusik für Thriller seine grösste Zuhörerschaft.) Der durch den Computer leicht gemachte Zugriff auf vorgefertigte Klangstücke muss keineswegs die ästhetische Stufe verlassen, selbst wenn die Sounds vorher technisch (oder sonstwie) genutzt wurden. Die Computer-Technologie kann zu einer tieferen Imagination führen als jedes andere technische Hilfsmittel - daher wird Earcon-Design ein neues Kapitel charakteristischer musikalischer Themen eröffnen, jingleartiger Kompositionen. Die längerfristige Anwendung multimedialer Computer-Applikationen erfordert zumindest glückliche musikalische Einfälle wie auch Kompositionen. Mir scheint, dass auch die Musik selbst durch diese Anwendung überlebt. Was ich mache, ist einfach an einer Suppe aus kleinen Earcons herumzuköcheln und dabei nach einer etwas grösseren Mahlzeit zu suchen. Ich habe isolierte Klangereignisse aus dem Computer ins Scheinwerferlicht konventioneller Musikperformance gestellt. Vielleicht werden meine Zuhörer den musikalischen Gehalt ihrer alltäglichen Computer-Geräusche erkennen-eine echte kulturelle Notwendigkeit (Reintegration einer speziellen Subkultur)? Wer weiss.

8. Sie sagen, dass jedes Geräusch musikalische Bedeutung in Ihre Ohren überträgt. Können Sie das näher ausführen? Wann gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Musik und Geräusch? Warum ist es wichtig, Geräusch musikalisch zu machen, oder darüber in musikalischen Begriffen zu denken?

Musikalische Wahrnehmung - musikalische Intention. Was jemand als Musik wahrnimmt, ist davon abhängig, was in ihm spielt, was für eine musikalische Illusion (illudere, lat.-inneres Spiel) im Innern stattfindet. Welcher Art diese Illusion ist, ist bestimmt von der Wirkungsweise kultureller Filter und der aktuellen persönlichen Stimmung. Aber bei jedem spielt irgendeine Art von innerer Musik. Was Musiker musikalisch zu kreieren beabsichtigen, wird Musik sein, egal wie die Kritiker argumentieren mögen. Nicht mal ein vernichtend urteilendes Publikum kann seine Essenz des Musik-Seins leugnen. Vor allem helfen uns die, deren Talent Musik aus Geräuschen hervorbringt, der Welt als musikalischem Geschenk zuzuhören. (Nada Brahma, sanskrit "The World Is Sound") Wir alle schlagen oft Brücken über die Grenzregion zwischen Geräusch und Musik. Die Frage ist, wer auf welches akustische Phänomen hört, und wann! (Wenn der Wellengang der Elbe die Pontons am Hafen bewegt, reiben sie aneinander und hören sich für mich an wie eine Free-Jazz-Posaunen-Combo. Leute, die in der Gegend wohnen, werden das sicherlich als Lärm wahrnehmen-ausser wenn sie verliebt sind oder sonstwie inspiriert).

9. Sie stellen fest, es sei die Aufgabe des Künstlers, die Beziehung zwischen Technologie und Ästhetik ständig neu zu definieren. Wie definiert Ihre Musik diese Beziehung (und wäre es von Bedeutung, wenn dies nur auf einer persönlichen Ebene geschähe, oder sollte dies auf eine breitere kulturelle Arena übertragen werden)? Wenn Sie spekulieren wollten, inwiefern würden Sie einen Einfluss Ihrer Arbeit auf andere sehen?

Ich erinnere eine Bemerkung von Robert M. Pirsig über das altgriechische Wort "techne", das sowohl "Kunst" als auch "(Kunst-) Handwerk" bedeutete-lange bevor ästhetische Betrachtung und das Verständnis profaner Produktion sich trennten. Denken Sie an `High-Tech`-Trainingsmethoden für Studenten der klassischen Musik, all die computergestützte Transkriptionsarbeit, die ganzen verzweifelten Versuche, Virtuosität zu erreichen (wussten Sie, dass Saxophonisten heutzutage gleichzeitig atmen und blasen können?), Overdubbing als bequemes und konventionelles Studiohandwerk, unmöglich festzustellen, an welchen Stellen aufgenommene Musik geschnitten wurde...einer schneidet-der andere klebt an! Wenn Musik auf CDs oder anderen Datenträgern fixiert wird, wird sie hergestellt, um wieder und wieder gehört zu werden. Das musikalische Ereignis in Echtzeit wird schon so geplant, dass es die Kopie der Kopie der Kopie eines virtuellen Live-Moments ist. Kunst oder Technologie? Entweder hört man dem zu, den man tatsächlich anschaut, oder man versucht das Echo einer musikalischen Gottheit einzufangen, derer man sich erinnern will...
Ich hoffe, dass ich nicht der einzige bin, der nach einer Einheit innerhalb dieses Antagonismus sucht. Es gibt bestimmt viele junge Musiker, die alles Hörbare kombinieren und es in etwas verwandeln, was viele Leute dann "Musik" nennen. Versuchen Sie es zu hören-die kommende Multimedia-Welt wird Sie schliesslich sowieso dazu bringen!

Copyright © Enculturation 1997-1999

Querverweis auf... enculturation (english version)


   
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D.Administrator    
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